Aktivregion Rennsteig im Thüringer Wald

Zwischen Bergen, Wald und Meer

Prädikatsweg: Hohenwarte Stausee Weg

Rauschende Flüsse und Bäche, dramatische Fjordlandschaften, glitzerndes Wasser – wer jetzt an Skandinavien denkt, liegt richtig. Fast! - Denn eine Natur wie diese findet man genauso gut in Thüringen.

Mit nahezu 80 Kilometern Staulänge gilt die Saalekaskade, von Einheimischen liebevoll „Thüringer Meer“ genannt, als Deutschlands größte Stauseeregion. Hier erwarten dich urige Wälder, malerische Buchten, zum Baden einladende Strände und bergige Höhen – das Landschaftsbild ist phänomenal. Ein Highlight: der Hohenwarte Stausee Weg. 75 Kilometer pures Wandervergnügen! Du durchstreifst Täler und Hochplateaus, erklimmst Felsen und Steilhänge mit grandiosen Ausblicken. Einen Vorgeschmack gibt’s mit diesem Erlebnisbericht über die Tagesetappe Wilhelmsdorf bis Ziegenrück.

Mystische Morgenstimmung am Saale-Fjord

Startpunkt der knapp 18 Kilometer langen Tagesetappe ist Wilhelmsdorf, ein kleiner Ort auf einer Hochfläche des Thüringer Schiefergebirges. Als ich den Wanderparkplatz am Ortsrand erreiche, ist es noch trüb. Von oben tröpfelt es leicht, aber anhaltend. Ein kurzer Blick auf die Tafel mit Kartenübersicht und Wegweiser genügt, dann starte ich mit Regenponcho und guter Laune im Gepäck – laut Wetter-App soll es ohnehin bald aufziehen. Meine Guideline für den heutigen Tag: roter Punkt auf weißem Spiegel. Dieser Wegmarkierung kann man blindlings folgen, die Ausschilderung ist durchgehend gut und verlässlich. Auf den ersten Kilometern werde ich von einem freundlichen Traktorfahrer überholt, und überrascht von einem betörenden Duft, der vom Kamillenfeld herüberzieht. Zehntausende Pflanzen strecken ihr gelbes Köpfchen dem Himmel entgegen, im leichten Sprühregen werden Spinnennetze wie kleine Glasperlen-Kunstwerke sichtbar. Weiter geht’s durch das erste Waldgebiet mit hohen Fichten. Als ich den Saalestausee zum ersten Mal erblicke, zeigt er sich mir mystisch wie in einer nordischen Saga: leichte Nebelschwaden ziehen über das Wasser, tiefhängende Wolken streifen die Baumwipfel am Ufer. Mir kommen Melodienfetzen von Edvard Griegs berühmter „Morgenstimmung“ aus Peer Gynt Suite in den Sinn – die Atmosphäre könnte jedenfalls passender nicht sein.

Hinauf zum Bockfelsen – die kleine Schwester des Preikestolen

Ich stapfe weiter über Pfützen und Fichtennadeln. Aus dem breiten Forstweg wird zunehmend ein uriger Wanderpfad, mit Farnen und Moosen bewachsene Schieferfelsen werden sichtbar. Es folgt ein Abstieg hinunter zum Campingplatz Portenschmiede, der ersten Bucht mit Badestrand. Inzwischen sind die grauen Wolken verzogen – die Sonne strahlt vom azurblauen und mit weißen Wolkentupfern verzierten Himmel auf die Saale herab. Am Ufer beginnt das Leben. Einige Badegäste tummeln sich im Stausee, nebenan wird ein Boot zu Wasser gelassen. Ich laufe direkt zum Ufer, atme ein paar Mal tief ein und aus. Die Luft riecht frisch, es ist fast windstill und das „Saale-Meer“ liegt wie ein stiller Spiegel vor mir. So schön, und very Skandinavien-like. Der Wanderweg nimmt nun einen weiten Bogen durch die langgezogene Bucht. Bevor der nächste Anstieg naht, lässt mich ein Schild am Ende des Campingplatzes schmunzeln: „Des Campers Fluch ist Regen und Besuch.“ Na dann, schnell weiter bergan zum Bockfelsen. Echte Wanderfans kommen bei diesem Aufstieg durchaus auf ihre Kosten: Über Wurzelgeflecht, Wald- und Schotterpfade geht’s mit ordentlicher Steigung hinauf. In Gesellschaft von hunderten leuchtenden Fingerhüten lege ich eine kurze Verschnaufpause ein. Das Ende des kühlen, schattenspendenden Waldes ist erreicht. Vorbei an besonnten Kamille- und Getreidefeldern erreiche ich schließlich den Bockfelsen. Wow. Was für ein Ausblick! Dieser Platz ist definitiv eines der großes Highlights entlang des Hohenwarte Stausee Weges. Die Felsformation aus Schiefergestein ist schon spektakulär, vom Panorama aus Wäldern und dem blauen Band der Saale ganz zu schweigen. Muss man einfach gesehen haben! Wie eine kleine Schwester des berühmten norwegischen Felsens Preikestolen.

Wandern in Begleitung von Kräutersine

Nur schwer kann ich mich von diesem Anblick trennen, doch es liegen noch einige Kilometer und Höhenmeter vor mir. Zuvor gibt’s eine Stärkung, denn mein Magen grummelt. An einer Weggabelung mit Holzbank packe ich meine Käsestulle aus, toppe sie mit ein paar frisch gepflückten Kornblumenblüten und genieße den Rucksack-Snack. Der Weg führt schnurstracks weiter entlang von Feldern und urigen Pfaden bis ins wildromantische Fischbachtal. Hier bin ich mit Gesine Müller verabredet, die mich ein kleines Stückchen auf dem Wanderweg begleitet. Gesine ist Natur- und Landschaftsführerin im Naturpark Thüringer Schiefergebirge/Obere Saale; der Slogan ihres Unternehmens lautet "Kräutersine – Leben mit und aus der Natur". Sie begleitet Wandergruppen, bietet aber auch eigene Touren an, die der Entschleunigung dienen sollen: Waldbaden, Meditationen unter freiem Himmel, die Natur mit allen Sinnen spüren. Darüber hinaus ist sie ausgebildete Phytotherapeutin und kennt sich in der Kräuterheilkunde bestens aus. Ich frage sie, welche Pflanzen ihr besonders am Herzen liegen: „Die Birke ist wunderbar vielseitig und besitzt so wertvolle Eigenschaften, auch die Heilwirkung von Fingerhut und Brennnessel finde ich immer wieder faszinierend. Giersch ist eines meiner Lieblings-Wildgemüse.“ Wir wandern gemeinsam zur nächsten Bucht, über den Campingplatz Neumannshof und leicht bergan durch den Wald zur Linkenmühle. Auf dem Weg dorthin berichtet mir Gesine aus ihrem spannenden Berufsleben. Eine Zeit begleitete sie regelmäßig Touren durch die Muschelkalkberge um Jena und ins orchideenreiche Leutratal. Heute führt sie Wanderbegeisterte durch die heimische Natur im Südosten Thüringens und teilt ihr Wissen über Wildpflanzen in Seminaren und Workshops mit. Kurz bevor wir das Gasthaus mit Biergarten am Campingplatz Linkenmühle erreichen, erspähen wir die Mühlenfähre, Thüringens einzige Autofähre – und die einzige Fähre Deutschlands, die auf einem Stausee verkehrt. Nach einer gemütlichen Kaffeepause wird es für mich Zeit, weiterzuziehen. Wir verabschieden wir uns und Gesine fährt zurück in ihre Homebase nach Langgrün. 

An der Saale hellem Strande

Ich folge der Beschilderung und bin entzückt: Der Wanderweg führt tatsächlich mitten durch einen kleinen Flusslauf. Stein für Stein balanciere ich durch das niedrige Flussbett, das Wasser plätschert leise vor sich hin. Auf der anderen Seite folgt man ein kurzes Stück der asphaltierten Straße, bis man das Ende der Bucht erreicht hat, dann wird der Weg wieder schmaler und rustikaler. Es geht zunächst leicht bergauf, dann zunehmend steiler hinauf zur Teufelskanzel. Der weiche Waldboden macht das Wandern trotz Steigung angenehm. Am Aussichtspunkt Teufelskanzel erneut ein atemberaubender Ausblick: Wie ein blaues Schleifenband legt sich die Saale um bewaldete Hänge. Es geht weiter bergan, immer wieder mit malerischen Aussichten auf das glitzernde Thüringer Meer. Hat man die Karl-Rühl-Hütte erreicht, führt der Wanderweg peu à peu hinab in Richtung Ziegenrück. Erst auf Waldpfaden, dann vorbei an Feldern und schließlich auf einem engen Stieg hinunter an die Uferpromenade – vor Augen die über der Stadt thronende Kemenate auf dem Schlossberg. Es ist geschafft, die letzten Meter liegen vor mir. Mein Blick fällt auf eine imposante Felsformation, dem geologischen Aufschluss „Sattelbildung im Kulmschiefer“, und kurz danach auf einen Fischer in Wathosen, der die Angel weit in die Stromschnellen der Saale auswirft. Eine kleine Gruppe Enten schnattert vergnügt, als begrüßten sie mich um zu sagen: Sie haben ihr Ziel erreicht.