Kulturregion Wartburg im Thüringer Wald

Die Arbeit der Glasbläserfrauen

Transport der Glaswaren durch den Thüringer Wald

In den Stuben der bitterarmen Glasbläserfamilien gab es eine klare Aufgabenteilung. Die Männer saßen „vor der Lampe“ und bliesen im Akkordtempo den Christbaumschmuck. Der Rest der Familie bemalte und veredelte die sensiblen Glaswaren. Von den Glasbläserfrauen wurde die leicht zerbrechliche Ware in voluminösen Tragekörben aus Weidenhölzern oder speziellen Holzgestellen (Raaf oder Kiepe) auf mühsamen Wegen von Lauscha nach Sonneberg getragen. Es gehörte zum Lauschaer Ortsbild, dass Frauen mit ihren großen Tragekörben entlang der Dorfstraße gingen. 

Bis ins 20. Jahrhundert wurde der Thüringer Christbaumschmuck auf saisonbedingte Nachfrage hergestellt. So schafften die Glasbläserfrauen in den Frühjahrs- und Sommermonaten Muster der neuen Kreationen zu den Sonneberger Verlegern, die sie auf der Leipziger Messe vorstellten und dann ihre Bestellungen aufgaben. 

 

 

In den unwirtlichen Herbstmonaten – der Winter kommt schnell nach Lauscha – mussten die Glasbläserfrauen fast wöchentlich die kostbare Ware nach Sonneberg tragen. Es ging etwa 15 km quer durch das Thüringer Schiefergebirge von Lauscha über Steinach bis zur Wiefelsburg und von dort weiter nach Sonneberg. Der Anstieg durch die „Höll“ hinter Steinach vermittelt einen kleinen Eindruck über den zu bewältigenden Kräfteaufwand der Glasfrauen, wenn sie bei Wind und Wetter auf sich allein gestellt, die meist bis zu 20 kg schweren „Huckelkörbe“ über die Thüringer Berge transportieren mussten. Ging eine Ladung zu Bruch, war die Wochenarbeit einer ganzen Familie zerstört. In Sonneberg wurden den Glasbläserfrauen der klägliche Lohn von den Verlegern in bar ausgezahlt. Bevor sie sich auf den langen Rückweg machten, kauften sie für die Arbeit der nächsten Woche zum großen Teil bei den Verlegern Dekormaterial und Lackfarben. Mit dem Ausbau der Eisenbahnstrecke bis nach Lauscha 1886 fuhren die Glasbläserfrauen, die es sich leisten konnten, nach Sonneberg. Zurück sparten sie sich aber das teure Fahrtgeld und wanderten mit den fast leeren Körben zu Fuß nach Hause.

 

 

Später übertrugen die Glasbläserfamilien die Anlieferung der Ware nach Sonneberg auch sogenannten Boten- oder Lieferfrauen. Diese sammelten meist die Lieferkörbe mehrerer Glasbläser am Lauschaer Bahnhof ein und beaufsichtigten das Frachtgut bis nach Sonneberg. Tatsächlich sind die Frauen der Glasbläser und professionelle Botenfrauen bis in die 1950er Jahre nach Sonneberg gelaufen. Nicht zuletzt ihre eigene besondere Lebensweise, ständig auf Achse über weite Strecken zu sein, ließ die Botenfrauen zu anerkannten Persönlichkeiten werden. Einige von ihnen sind zur Legende geworden. Louise Petzold, genannt Korz (die Kurze), war bis zu Beginn des zweiten Weltkriegs tätig. Emilie Hellmann, die Botenfrau des Inselsbergs, erwanderte bis zu ihrem 70. Geburtstag den Gipfel. Sie erstieg den Berg 12.000 Mal, was einer 2,5maligen Umrundung des Äquators gleichkommt.

 

 

Die in Lauscha stehende Holzskulptur „Lieferfrau“ des Sonneberger Künstlers Hans-Jürgen Gögel vermittelt einen Eindruck von der Höhe des Tragegestells in künstlerischer Überhöhung. Von dort kann man sich auf die Spuren der Lieferfrauen begeben und den „Lauschaer Glasbläserpfad“ bis Sonneberg erwandern. Extra naturbelassen erklimmt man Höhenunterschiede von etwa 400 Metern und erhält damit eine kleine Ahnung von den Strapazen und Zwängen, denen die Glasbläserfamilien ausgesetzt waren. Denn ohne die Frauen der Glasbläserfamilien und Botenfrauen hätte die Lauschaer Weihnachtskugel nie ihren Siegeszug rund um die Welt antreten können.

© Leika Kommunikation / Ute Lieschke, Johanna Brause