Kulturregion Wartburg im Thüringer Wald

Goethes wahre Muse - Der Thüringer Wald

Schöpfungskraft und tiefes Naturempfinden

Wenn im Thüringer Wald die Sonne hinter den Gipfeln versinkt, das Grün der Nadelbäume im sanften Abendlicht schimmert, ist die Melancholie aus Johann Wolfgang von Goethes „Wandrers Nachtlied“ regelrecht zu spüren:

 

„Über allen Gipfeln

Ist Ruh',

In allen Wipfel

Spürest du

Kaum einen Hauch;

Die Vögelein schweigen im Walde.

Warte nur, balde

Ruhest du auch."

Johann Wolfgang v. Goethe, 6.September 1780

 

Befreit von der Enge der Stadt, inmitten der wilden Thüringer Natur ist wohl eines seiner berühmtesten Gedichte entstanden. Der Dichter selbst soll die Verse im September 1780 nach einer Wanderung auf die Holzwand einer Schutzhütte auf dem Kickelhahn, dem Ilmenauer Hausberg, geschrieben haben.  

Das Durchwandern der Thüringer Landschaft inspirierte Goethe und war eine Quelle der eigenen Schöpfungskraft und Freiheit. Zahlreiche Briefe und liebevolle Zeichnungen zeugen von Goethes tiefem Naturempfinden während seiner Zeit in Weimar und im Thüringer Wald.

 

„Lieber Bruder, wir sind in Ilmenau, seit 3 Wochen wohnen wir auf dem Thüringer Wald, und ich führe ein Leben in Klüfften, Höhlen, Wäldern, in Teichen, unter Wasserfällen, bey den Unterirdischen, und weide mich aus in Gottes Welt.“

(Brief an Johann Gottfried Herder, 9. August 1776)

 

 

Jagden, Zeichnungen und Dichtung um Ilmenau 

Im Alter von 26 Jahren war der bereits durch „Werther“ und „Götz von Berlichingen“ bekannte Dichter 1775 aus Frankfurt der Einladung von Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach an den Weimarer Hof gefolgt. Zu dem acht Jahre jüngeren Herzog verband ihn fortan eine enge Freundschaft. Man jagte und feierte gemeinsam. Goethes Tagebuch beschreibt die Teilnahme am Vogelschießen, vom Tanz mit Bauernmädeln, von wilden Jagden, zünftigen Nachtlagern und ausgelassenen Streichen. Bald wurde Goethe zum Minister befördert, bekleidete etliche politische und administrative Ämter, sanierte den überschuldeten Haushalt des Herzogtums und trieb auch die Erneuerung des Ilmenauer Bergbaus voran. 

 

„Ich kam höchst unwissend in allen Naturstudien nach Weimar, und erst das Bedürfniß, dem Herzog bey seinen mancherley Unternehmungen, Bauten, Anlagen, praktische Rathschläge geben zu können, trieb mich zum Studium der Natur. Ilmenau hat mir viel Zeit, Mühe und Geld gekostet, dafür habe ich aber auch etwas dabey gelernt und mir eine Anschauung der Natur erworben, die ich um keinen Preis umtauschen möchte.“

(Johann Wolfgang von Goethe in einem Gespräch mit Friedrich Theodor Adam von Müller und Frédéric Jean Soret 1824)

 

 

In dem Städtchen am Nordrand des Thüringer Waldes hielt sich Goethe gerne auf, 20 Besuche sind verbürgt. Hier wanderte er umher, trieb naturwissenschaftliche Studien, verewigte den Marktplatz und die von Hügeln und Bergen umgebene Landschaft in Gedichten und dem „Wilhelm Meister“. Im August 1776 führte er seine enge Vertraute Charlotte von Stein zum „Großen Hermannstein“ und in die künstlich geschaffene Felsenhöhle. Am darauffolgenden Tag besuchte er die felsige Waldgegend um Elgersburg und verfasste für Charlotte von Stein das Gedicht „Ach wie bist du mir“. Der „Schwalbenstein“ am heutigen Goethe-Wanderweg inspirierte den Dichter zum vierten Akt seines Dramas „Iphigenie auf Tauris“. Seine Spuren führen bis nach Stützerbach. In dem idyllischen Kneipp-Kurort hielt sich der Weimarer Bergbau-Minister gern auch zum privaten Vergnügen auf und wohnte im „Gundelachschen Haus“, dem heutigen Museum. Der Ort inspirierte ihn zu mehreren Bildern: 

„Adieu Engel. Ich geh nach Stützerbach um für dich eine Zeichnung zu endigen.“

(An Charlotte von Stein, 2. August 1776)

 

„Schutzhütte auf dem Schwalbenstein am Goethe-Wanderweg“ | © Dominik Ketz

Einige Monate vor seinem Tod erklomm er im Alter von 82 Jahren gemeinsam mit seinen Enkeln Walther und Wolfgang ein letztes Mal den oft besuchten Kickelhahn oberhalb von Ilmenau. 

„Auf dem Gickelhahn […] hab ich mich gebettet, um dem Wuste des Stätgens, den Klagen, den Verlangen, der Unverbesserlichen Verworrenheit der Menschen auszuweichen […]. Es ist ein ganz reiner Himmel und ich gehe des Sonnen Untergangs mich zu erfreuen …“

(An Charlotte von Stein, 6. September 1780)

 

„Goethehäuschen auf dem Kickelhahn mit „Wandrers Nachtlied“ | © Dominik Ketz

Auf dem Kickelhahn kann man heute die nach einem Brand wieder aufgebaute Schutzhütte „Goethehäuschen“ mit Goethes Gedichtzeilen von „Wandrers Nachtlied“ in 16 Sprachen besichtigen. Etwa zwei Kilometer vom Gipfel entfernt befindet sich die von Herzog Carl August 1783 errichtete spätbarocke Jagdunterkunft „Jagdhaus Gabelbach“. Goethe hat hier mehrmals übernachtet. In dem Museum erfährt man Näheres über die damaligen Jagdgewohnheiten und das Gesellschaftsleben am Weimarer Hof. 

 

Einkehren und Übernachten in und um Ilmenau

 

Schloss Kochberger Musenhof 

Mit der Landschaft Thüringens blieb Goethe Zeit seines Lebens eng verbunden. Es gibt wohl kaum einen Ort, den er dort nicht zu Fuß erkundet hat. Wegen seines Umherschweifens nannte man ihn im Volksmund schon bald „den Wanderer“. Im ersten Jahrzehnt seiner Weimarer Zeit wandert der junge Goethe regelmäßig den etwa 28 Kilometer langen Fußweg von Weimar bis zum Schloss Kochberg nahe Rudolstadt. Auf dem idyllischen Landsitz inmitten von grünen Hügeln verbrachte die Familie von Stein die Frühlings- und Herbstmonate. Für die Strecke benötigte der Dichter nach eigenen Angaben zweieinhalb Stunden zu Pferd oder sechs bis acht Stunden zu Fuß. Der gut ausgewiesene Wanderweg von Weimar zum „Schloss hinter den Bergen“ führt über grüne Hügel mit weitschweifenden Ausblicken, in lichte Nadelwälder und kleine Dörfer mit Sehenswürdigkeiten wie die über Buchfahrt gelegene „Felsenburg“ oder das Rundlingsdorf Neckeroda. Heute kann man in Großkochberg das liebevoll ausgestattete Schlossmuseum mit originaler Ausstattung und einem barocken Schreibschrank, auf dem sich Goethe mit Besuchsdaten verewigt hat, sowie ein Restaurant besuchen. Das historische Liebhabertheater von Schloss Kochberg ist vermutlich weltweit das einzige freistehende Privattheater der Goethezeit. Von Mai bis Ende September finden hier in intimer Atmosphäre Schauspiel- und Opernaufführungen statt, einige mit historischem Instrumentarium. Auf stilsichere und werkgetreue Bearbeitungen wird besonders Wert gelegt. Den Inszenierungen gehen aufwändige Recherchearbeiten in Bibliotheken und Archiven voraus. 

 

 

"Thüringens historische Theater”

Volker Mehnert
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.01.2022

Das von einem verträumten Landschaftspark mit alten Obstbäumen und schattigen Ruheplätzen umgebene Wasserschloss aus dem 16. Jahrhundert verwaltete der herzogliche Oberstallmeister Gottlob Ernst Josias Friedrich von Stein. Mit Charlotte von Stein verband Goethe bis zu seiner überstürzten Abreise nach Italien eine außergewöhnliche Freundschaft und lebhafte Briefkorrespondenz. Die mit den Gepflogenheiten des Weimarer Hofs vertraute Charlotte von Stein, Hofdame von Herzogin Anna Amalia, wurde für Goethe besonders im ersten Jahrzehnt seiner Weimarer Zeit eine wichtige Bezugsperson. Auf dem Kochberger „Musenhof“ gab es ein reges Kommen und Gehen illustrer Gäste wie Carl August, Gottfried Herder, Jakob Lenz oder Karl Ludwig von Knebel. Auch Goethe inspirierte das von einem Wallgraben umgebene Schlossensemble. Hier arbeitete er am „Faust“, am Trauerspiel „Mahomet“ und übersetzte Fabeln von Äsop. 

Nach dem Tod des Vater Josias von Stein ließ Carl von Stein, Charlotte von Steins ältester Sohn, nach Weimarer Vorbild 1800 ein Liebhabertheater errichten. Das ursprünglich aus einem zweigeschossigen Gartenhaus umgebaute klassizistische Theater am Eingang des Schlossparks mit Säulenportikus und einen von Säulen umrahmten und mit Papiertapeten marmorierten Zuschauer- und Bühnenraum ist ein einzigartiges Kleinod. Gemeinsam mit seinen Kindern und der Dienerschaft führte Carl von Stein hier Werke für Freunde und Verwandte auf. Goethe kam im Übrigen nie in Berührung mit dem Theater. Es wurde erst nach dem Abbruch seiner Freundschaft zu Charlotte erbaut. 
Bis zum September 1786 bestand zwischen beiden über ein Jahrzehnt lang eine rege Brieffreundschaft, die mit Goethes Abreise nach Italien abrupt endete. Etwa 1770 Briefe und „Zettelgen“ Goethes an die sieben Jahre ältere Freundin, teilweise mehrmals am Tag, zeugen von ihrem vertrauten Umgang. Sie inspirierte ihn in seinem künstlerischen Schaffen. Er ließ sie mit kleinen Zeichnungen an seinen vielfältigen Wanderungen durch den Thüringer Wald teilhaben. 

 

Im GoetheStadtMuseum Ilmenau werden zum Start einer Wanderung am Goethewanderweg seine Zeichnungen und seine Tätigkeit im Bergbau vermittelt.

 

Charlotte von Stein revanchierte sich mit gezeichneten Ansichten von ihren Reisen nach Pyrmont oder dem Landsitz Kochberg. In den insgesamt acht Reisebriefen an die Freundin vom September 1780 gibt es zwar keine Erwähnung seines populären Gedichts „Wandrers Nachtlied“. Dennoch war sie vermutlich eine der Ersten, der er die Verse nach seiner Besteigung des Kickelhahns vorgetragen hat. Auf seinem Rückweg ritt er über Schloss Kochberg und verweilte einige Tage auf dem Landgut der Steins. Charlotte von Stein notierte einige Verszeilen des Gedichts auf die unbeschriebene Seite eines Goethe-Briefs vom 18. September. Goethe veröffentlichte das Gedicht erst viele Jahre später, 1815 im ersten Band seiner „Werke“. Das Original befindet sich als Faksimile im GoetheStadtMuseum in Ilmenau.

@Leika Kommunikation (Ute Lieschke, Johanna Brause)