Aktivregion Rennsteig im Thüringer Wald

Hoch hinaus im Thüringer Wald – Abenteuer Gipfelwanderweg

Prädikatsweg: Gipfelwanderweg Suhl

Mit den Bergen der Alpen können die Thüringer zwar nicht konkurrieren, doch Gipfel und schöne Aussichten gibt es hier ebenso. Dazu gleich sieben Neunhunderter auf engstem Raum, die man auf einer einzigen Rundtour erwandern kann.

Der knapp 30 kilometerlange Gipfelwanderweg im Zentralmassiv des Thüringer Waldes strotzt nur so vor sportlichen Wanderpassagen mit Weitblicken und vor dem, was diese Gegend ausmacht: frische würzige Waldluft und das belebende Rauschen aus den Baumkronen mächtiger Fichten. Wer mit dem Gipfelwanderweg Bekanntschaft machen möchte, sollte eine gewisse Grundkondition mitbringen. Für sportlich aktive Wanderer ist der Weg am Stück eine lohnenswerte Herausforderung, andernfalls begeht man ihn einfach in zwei Etappen.

Goldene Wiesen über Goldlauter

Von Wolken freigelegt, bahnen sich breite Sonnenstrahlen in den Suhler Ortsteil Goldlauter. Auf einem Parkplatz treffe ich Matthias Rolfs, mein Wanderführer für die erste von zwei Etappen. Er kennt sich bestens in der Gegend aus, hat die Wegmarkierung stets im Blick. Und dies nicht ohne Grund: Matthias Rolfs ist ehrenamtlicher Wegewart der Stadt Suhl. Während der ersten Schritte aus dem Tal hinauf in Richtung Geiersberg lässt er mich wissen, wie es zur schmuckvollen Ortsbezeichnung Goldlauter kam. In der kleinen Bergbausiedlung, die im 16. Jahrhundert entstand, vermutete man einst das Edelmetall Gold. Gefunden und abgebaut wurde jedoch Silber und Eisenerz, bis sich die Bodenschätze erschöpften. »Hier scheint dennoch alles in Gold getaucht zu sein«, stelle ich beim Blick über die Bergwiese oberhalb des Tals der Dürren Lauter fest. Gelbe Blütenköpfe leuchten im hohen Gras, dazwischen lugen Felskuppen wie graubraune Hügel hervor. Der steile Aufstieg von Goldlauter-Heidersbach hatte es schon mal in sich, es geht weiter leicht bergan auf Waldforstwegen. Matthias hält nach einer Weile inne und berichtet mir vom Skistadion “Erich Keller”, vor dem wir gerade stehen. »Hier wird im Winter viel trainiert, und es finden Wettkämpfe wie der Deutschland-Pokal und der Deutsche Schülerpokal im Skilanglauf statt«, sagt er. Einige Zeit später plätschert rechts vom Weg Quellwasser in Rinnsalen vom Berg hinab und bildet kleinere, von Farnen gesäumte Becken. Vorbei an großen Felskanten flankieren unzählige pinkfarbene Fingerhutpflanzen den Weg, die sich mit Johanniskraut und Glockenblumen abwechseln und eine herrliche Farbkulisse bilden. Schließlich erreichen wir den Dietzen-Lorenz-Stein, eine Felsformation unterhalb des Rennsteigs. Der beliebte Aussichtspunkt wurde nach einem Einsiedler benannt, der in einer Höhle am Fuße des Felsens lebte und Fuhrleuten Vorspanndienste leistete. »Ein perfekter Ort für eine kleine Frühstückspause«, stellt Matthias fest – ich willige zu gern ein.

Erste Gipfelstürmergefühle

Die Blicke schweifen über die weite Waldlandschaft und wir genießen das Panorama. Matthias ist nicht nur wanderbegeistert, sondern hat auch ein Herz für Kunst und Kultur: Über viele Jahre war er Kulturamtsleiter in Suhl. Geboren und aufgewachsen ist er in Creuzburg an der Werra. »Nach dem Studium bin ich gemeinsam mit meinem Cousin und anderen Studienkollegen den Rennsteig erstmals komplett abgewandert – ein unvergessliches Erlebnis«, lässt er mich wissen. Alte Liebe rostet nicht. So ist Matthias bis heute regelmäßig auf dem weltbekannten und viel umsungenen Höhenwanderweg unterwegs. 
Wir brechen auf vom Dietzen-Lorenz-Stein und wandern durch angenehm schattige Waldabschnitte – bis zum Dr. Julius Kober Gedenkstein, gewidmet einer Persönlichkeit, die sich zeitlebens aktiv im Rennsteigverein engagierte. Kurze Zeit später erreichen wir den höchsten Punkt des Rennsteiges in 973 Metern Höhe. Zeit für Selfies und ein Fotoshooting am Wegweiser, bevor der nächste Panoramablick auf dem Programm steht: Plänckers Aussicht, direkt unterhalb der Kuppe des Großen Beerbergs. Der Gipfel ist mit knapp 982,9 Metern die höchste Erhebung Thüringens und befindet sich inmitten der Kernzone des UNESCO-Biosphärenreservates Thüringer Wald. Wir besteigen die Treppen der hölzernen Aussichtsplattform, der Himmel strahlt uns entgegen mit azurblauer Farbpracht samt weißer Wolkentupfer, darunter breitet sich die schier endlos erscheinende Weite der »Thüringer Taiga« aus. Was für ein Anblick! Neben uns genießen weitere Wanderer und auch einige Mountainbiker das Panorama. Am Rande der Aussichtsplattform ist zu lesen, dass Justus von Pläncker aus Gotha einer der Erforscher des Thüringer Waldes war. Und er gilt als der erste, der die »Rennsteigreise im Zusammenhang« unternommen hat, quasi der Erfinder der Rennsteigwanderung. Motivation genug, um den nächsten Neunhundertern einen Besuch abzustatten. 

Von Dukatenfaltern und Schneekopfkugeln 

Während ich ein letztes Foto von der bläulich schimmernden Silhouette der Berge einfangen möchte, tänzelt ein orangeleuchtender Falter ins Bild. Das hübsche Tagfalter-Model erweist sich als ein männliches Exemplar des Dukatenfalters, einer deutschlandweit gefährdeten Art der Roten Liste. Viel Zeit für ein tierisches Fotoshooting bleibt nicht, schließlich lautet unsere Mission: Sieben auf einen Streich. Wir gehen weiter, der breite Schotterweg verwandelt sich zunehmend in einen schmalen Pfad. Rechts und links sprießen üppige Farne aus dem Boden, Wurzelgeflecht zieht sich quer über den Weg. »Hier muss man aufpassen«, meint Matthias, »man bleibt schnell mal mit der Fußspitze in einer Wurzel hängen und kommt ins Stolpern.« Aus gutem Grund hat er seine Wanderstöcke dabei und setzt zielstrebig, aber achtsam einen Fuß vor den anderen. Eine Weile laufen wir schweigend hintereinander und konzentrieren uns auf den überaus attraktiven, naturbelassenen Weg. Dichte Blaubeersträucher überziehen den Waldboden, aus der Ferne hören wir das Krächzen eines Kolkrabens. Alte Grenzsteine tauchen auf und erinnern an die historische Bedeutung des Rennsteigs als Trennlinie zwischen Fürstenhäusern und Grafschaften. Vorbei am Rosenkopf, der mit 939 Metern der zweite der sieben Gipfel des Wanderweges ist, geht es schnurstracks in Richtung Schneekopf, dem dritten in der Runde. Matthias telefoniert und kündigt uns beim Bürgermeister von Gehlberg an, der uns am Aussichtsturm auf dem 978 Meter hohen Schneekopf bereits sehnsüchtig erwartet. Rainer Gier ist »ehrenamtlicher Ortsteilbürgermeister in Gehlberg«, wie er erklärt, »mit Leib und Seele.« Er schwärmt von seiner Heimat und berichtet davon, was ihm wichtig ist und wofür sein Herz brennt: die Infrastruktur der Aussichtspunkte, der Thüringer Museumspark in Gehlberg. Im unteren Bereich des Aussichtsturmes sind historische Fotografien und Postkarten ausgestellt sowie Exemplare einiger Schneekopfkugeln, einer geologischen Besonderheit des Thüringer Waldes. Wir steigen etliche Treppenstufen wie in einem Schneckenhaus hinauf, betreten die Plattform, die sich wie ein Ring um den Turm zieht und genießen Rundblick aus genau 1001,11 m ü. NN. Schwindelfreiheit erweist sich als klarer Vorteil: Unter den Füßen gibt das gitterartige Metall freien Blick nach unten. Unsere Augen schweifen über die Landschaft – und auf die heraufziehenden dunklen Wolkenbänder. Hungrig sind wir ohnehin, so umgehen wir den Regenguss und verbringen eine genüssliche Rast in der Neuen Gehlberger Hütte, der höchstgelegenen bewirtschafteten Hütte und Wanderherberge Thüringens.

Hüttenzauber mit Waldkonzert 

Draußen prasselt der Regen hernieder, drinnen sitzt sich’s gemütlich am Holztisch bei Käsespätzle. Die Menükarte von Katrin und Thomas Schmidt, die die Neue Gehlberger Hütte seit 2009 als Familienbetrieb betreiben, liest sich fantastisch. Leckere, bodenständige Gerichte, teilweise in Thüringer Mundart: Wie wäre es mit Pellkartoffeln und »Haringsbrüh«? Wer kein Matjesfan ist, dann vielleicht Knöllegerichte? Ich frage Katrin Schmidt, welches zu ihren Lieblingsgerichten zählt – die Antwort kommt prompt: »Schneekopfkugeln, heiße Krapfen mit Sahne. Wahlweise mit Apfelmus, Vanillesoße oder auf einen Heidelbeerspiegel.« Das liebevoll und mit viel Holz eingerichtete Gasthaus ist gut besucht, man fühlt sich sichtlich wohl. Matthias blickt aus dem Fenster und sieht die Sonne hervorblinzeln. »Zeit, aufzubrechen«, sagt er entschlossen und mit einem verschmitzten Lächeln. Ganz so, als ob er von der folgenden Begegnung ahnen würde. Kaum haben wir die Rucksäcke auf dem Rücken und treten ins Freie, da trifft Matthias am Fuße des Schneekopfes einen alten Bekannten: Günter Christ, Suhler Komponist und Musiker. »Ein Suhler Urgestein, den man einfach kennen muss«, wie mir Matthias später erzählt. Günter Christ begrüßt uns freundlich, die beiden Männer halten ein fröhliches Schwätzchen und spontan entschließt sich der Musiker, uns ein Ständchen auf seinem Mini-Waldhorn zu geben. Die Töne erklingen, schallen über die Wiese und in den Wald hinein. Eine echte musikalische Überraschung. Dankend verabschieden wir uns und setzen unsere Gipfeltour fort. 

Mount Sachsenstein und Fichtenkopf

Die nächsten Schritte geht es leicht bergab zur Teufelskanzel, einem Aussichtspunkt unterhalb des Schneekopfes. Von hier aus verläuft der Gipfelwanderweg als uriger Pfad, Trittsicherheit ist gefragt. Das Wurzelwerk zieht sich teilweise wie ein dickes Netz über den Boden und bildet mit dazwischenliegenden Moospolstern ein interessantes Naturmosaik. Der Abschnitt ist eine schöne Herausforderung und gleicht ab und an einem Geschicklichkeitsparcour. Damit zeigt der Qualitätsweg eine seiner Besonderheiten: die abwechslungsreiche und vielseitige Wegstruktur. Der urige Charakter dieses Abschnittes spiegelt sich auch am Wegesrand in Form artenreicher Vegetation wider. Man trifft auf wildwachsende Nelken, kunstvoll geformte Baumpilze auf totem Holz, dazu filigrane Flechten und Moose. Der Weg bis zur Seiffartsburg ist jedenfalls eine Augenweide, und die Seiffartsburg selbst ebenso: Mitten im Wald thront auf einem stattlichen Felsmassiv, um das sich mystische Sagen ranken, eine Aussichtsbank. Eine kurze Trinkpause gönnen wir uns, dann geht es zum Sachsenstein, ein Gipfel in Höhe von 915 Metern, den wir nach einem kurzen, aber steilen Aufstieg erreichen. Fast ist’s geschafft, noch ein Gipfel steht heute auf dem Plan – also nichts wie auf zum Fichtenkopf. Vorbei am bekannten Rastplatz Schmücke stapfen wir den Waldpfad hinauf zum Gipfel und genießen den Ausblick vom unweit entfernten Gipfelkreuz. Eine kurze Verschnaufpause muss genügen, bevor das Ziel angepeilt wird: die Suhler Hütte, eine traditionsreiche Berghütte mit Einkehr- und Übernachtungsmöglichkeit. Zum Abschluss der Etappe lädt mich Matthias auf einen Kräuterlikör ein, stilecht mit »Suhler Waffenöl«. »So viel Zeit muss sein«, meint er, und wir begießen zufrieden unser Gipfelwanderglück. 

Gar nicht gruselig: Mordfleck und Finsterberg

Noch sind nicht alle der sieben Gipfel erklommen. So mache ich mich ein zweites Mal auf den Weg – heute in Begleitung von Wolfgang Richter, Wanderführer aus Zella-Mehlis. Wenn jemand Erfahrung mit Bergbesteigungen hat, dann er: 2015 reiste er nach Nepal und stieg er im Alter von 66 Jahren gemeinsam mit seinem Sohn hinauf zum Basiscamp des Mount Everest und zum Kala Patthar in 5550 Metern Höhe. »Die richtige Vorbereitung ist alles«, verrät er mir und schwört auf gutes Training. »Was die Kondition anbelangt, so habe ich mich unter anderem hier im Thüringer Wald auf dieses Abenteuer vorbereitet.« Der Gipfelwanderweg ist eine seiner Lieblingspisten zum Wandern, hier führt er regelmäßig Wandergruppen entlang – in Etappen und auf Wunsch auch in einem Stück. Vom Borstenplatz mit dem Herbert-Roth-Denkmal starten wir unsere Tour, die zunächst auf einem breiten Waldweg verläuft. Es ist sonnig und die Wärme zieht zahlreiche Schmetterlinge auf die Distelblüten am Wegesrand, sogar der farbenprächtige und selten gewordene Schwalbenschwanz lässt sich blicken. Wir wandern in Richtung Mordfleck, einem Bergsattel zwischen Schmücke und Finsterberg, der einer riesigen Lichtung gleicht. »Von hier aus hat man einen schönen Blick in Richtung Sachsenstein«, sagt Wolfgang und zeigt hinüber zum Gipfel. Von Juni bis August leuchtet auf den Wiesen dieses Bergsattels die gelbblühende und unter Naturschutz stehende Arnika, ein typischer Bergbewohner der Pflanzenwelt. Der Weg führt in den Wald hinein, bergan und mit ordentlicher Steigung, vor allem auf dem letzten Stück hinauf zum Großen Finsterberg. Ich bin ordentlich aus der Puste, als ich oben ankomme – Wolfgang ist längst da und schaut sich auf der Wiese um. Meine Verspätung hat allerdings einen Grund. Eine Waldeidechse lief mir über den Weg und zeigte sich so gar nicht kamerascheu – diese Gelegenheit konnte ich mir nicht entgehen lassen. Was ich hier oben auf dem Plateau des Großen Finsterberges in 944 Metern zu sehen bekomme, kann jedoch locker mithalten: Hunderte, ja tausende von kunterbunten Blütenköpfen strahlen uns entgegen. Es summt, brummt, flattert und hüpft. Für Naturliebhaber ist diese Bergwiese ein echtes Paradies. Unweit steht ein Pärchen und hält die Szenerie mit dem Fotoapparat fest. Wolfgang ermuntert mich, die Treppen hinauf zum Aussichtsturm zu steigen, was sich als äußerst lohnenswert herausstellt. Der Blick ist grandios und man hat eine Rundumsicht bis weit ins Land hinein, sogar zur Wasserkuppe in der Rhön und zum Dolmar bei Meiningen. 

Finale Gipfelbesteigung 

Vom Großen Finsterberg geht es weiter und zunächst bergab bis zum Rastplatz Alte Tränke. Zwei Wanderer liegen erschöpft, aber sichtlich zufrieden auf der Wiese und halten ein Nickerchen überm offenen Himmelszelt. Am Rande der Waldwiese erspähe ich ausgehöhlte Baumstämme, in denen frisches Gebirgswasser plätschert. Eine Infotafel gibt Aufschluss: Im Mittelalter wurden hier Pferde und Rinder mit Wasser versorgt, später die Schmiedefelder Kühe. Interessant ist auch die Tatsache, dass hier auf dieser Lichtung das Quellgebiet der Nahe liegt, die bis in die Weser fließt. Nach einem kleinen Rucksackpicknick wandern wir weiter über naturbelassene, von Nadelstreu und Wurzeln überzogene Waldpfade. Zwischendurch zeigt mir Wolfgang einen Schatz, den er in seinem Rucksack verborgen hält: Zwei echte Schneekopfkugeln, mit funkelnden Kristallen im Inneren des kugelförmigen Gesteins, die durch vulkanische Aktivitäten vor 250 Millionen Jahre entstanden sind. Die Rarität lockt zwei weitere Wanderer an, die die Kugeln staunend begutachten. Nach einem Schwätzchen wandern wir weiter und erreichen schließlich den Großen Eisenberg in 907 Metern Höhe, der letzte und siebte der Neunhunderter. Geschafft! Ein kleiner erfrischender Imbiss aus Walderdbeeren versüßt das Glücksgefühl, bevor wir den Weg zurück zum Wanderparkplatz Borstenplatz antreten – unserem Basiscamp für diese Etappe des Gipfelwanderweges. Noch einmal geht es über urige Kies- und Wurzelpfade, deren Wegränder gesäumt sind von hochgewachsenen Wildstauden oder bemoostem Totholz. Die letzten Kilometer verlaufen schweigend, in einer Mischung aus Ehrfurcht vor der Waldnatur und dem guten Gefühl, den Gipfelwanderweg in kompletter Länge begangen zu haben. 

Alle Infos zum Loswandern gibt's hier: