Aktivregion Rennsteig im Thüringer Wald

Wenn Musik und Literatur zur Natursymphonie verschmelzen

Prädikatsweg: Von Bach zu Goethe

Man muss kein Klassikkenner sein, um diesen Weg zu beschreiten. Der Wanderweg »Von Bach zu Goethe« verbindet zwar Arnstadt und Ilmenau – und damit die Wirkungsstätten von Johann Sebastian Bach und Johann Wolfgang von Goethe. Jedoch strotzt die 25 Kilometer lange Route geradezu vor pittoresken Panoramablicken und Naturhighlights wie schroffen Muschelkalkfelsen, Orchideen, Silberdisteln und bedeutenden Eibenvorkommen. Der als „Qualitätsweg Wanderbares Deutschland" prämierte Weg lässt sich übrigens genauso gut entgegengesetzt erwandern, von Ilmenau nach Arnstadt, wie diese Erlebnisreportage zeigt.

In Ilmenau, da ist der Himmel blau

Es verspricht ein sommerlicher Tag mit Bilderbuchwetter zu werden – ganz so, wie es der bekannte Kinderreim vorgibt: »In Ilmenau, da ist der Himmel blau, da tanzt der Ziegenbock mit seiner Frau«. Die Morgensonne strahlt bereits vom Himmel, als ich meinen Fuß an den Startpunkt des Wanderweges setze: Vor dem GoetheStadtMuseum sitzt Johann Wolfgang von Goethe höchstpersönlich auf einer Bank – als Bronzefigur, vornehm, aber doch mit einer gewissen Nonchalance – und schaut über den Platz. Vom Amthaus folge ich brav der Markierung, einem blauen Querstrich auf weißem Grund, ab und an ergänzt von einer gelben Plakette mit Notenschlüssel und Schreibfeder. Der Weg führt über den Hauptfriedhof mit historischen Grabmälern und beeindruckender Friedhofsarchitektur in Form von Brunnen und Skulpturen. Weiter geht’s hinauf zur Oberpörlitzer Höhe. Ich drehe mich ein paar Mal um, genieße die Sicht auf Ilmenau und die Ausläufer des Thüringer Waldes. Es dauert nicht lange und der Asphalt wird abgelöst von einem Kiesweg, flankiert von hübschen Ackerwildkräutern. Er führt zu den Büchsteichen, wo mir Christian Steinbuch begegnet. Er hält gerade ein Fischnetz in der Hand, in dem es ordentlich zappelt. Was er da gefangen hat, möchte ich wissen. »Das sind Karauschen, eine europaweit geschützte und in Deutschland stark gefährdete Art«, sagt er und fährt fort: »Das liegt daran, dass es immer weniger pflanzenreiche Kleingewässer gibt.« Die Karauschen in seinem Netz haben große Schuppen und schimmern grünlich-gold. Auf einem Schild neben den Teichen steht »Geschützter Landschaftsbestandteil«. Wenn ich mir die Ufervegetation so anschaue, erklärt sich mir, warum: Es schaut nach einem naturbelassenen Gewässer aus. Schilfrohr, Riedgras und Seggen bilden einen dichten Ufersaum – perfekte Verstecke für Wildenten und Rallen, die sich lautstark bemerkbar machen. Christian Steinbuch erzählt mir, dass er sich von Kindesbeinen an mit Fischen beschäftigt hat – heute ist er Fischwirtschaftsmeister beim Verein Förderkreis Ilmenauer Teichlandschaft e. V. Deutschlandweit, so sagt er, gäbe es nur noch zwei Betriebe, die Nachwuchs von Karauschen liefern und somit zum Erhalt stark gefährdeten Art beitragen können. Wir plaudern noch ein Weilchen und verabschieden uns – vor mir liegt fast der gesamte Teil der Wegstrecke.

Thüringer Natur im Scheinwerferlicht 

Durch einen Talgrund und vorbei an abgeernteten strohgelben Stoppelfeldern gelange ich zur nächsten Teichgruppe, den Hirtenbuschteichen. Die Teiche wurden zur Fischzucht angelegt und existieren bereits seit Jahrhunderten. Auch hier entdecke ich eine artenreiche Insekten- und Vogelwelt: In den Ufersäumen zwitschert und summt es, über der Wasseroberfläche jagen Große Königslibelle und Rauchschwalben nach Beute. Ein Schild am Ende des Ufers informiert über den Lebensraum Stillgewässer – ich schaue auf die Tafel und entdecke die Stockente, die Sekunden zuvor als »Live-Version« erschrocken davonflog, als ich mich ans Ufer heranpirschte. Für einen Moment schließe ich die Augen, hole tief Luft und genieße die Geräuschkulisse der Natur um mich herum. Dann zieht es mich weiter. Der Weg führt nun durch einen Wald, in dem es herrlich kühl ist. Der Untergrund ist sandig, kleine Kiefernzapfen liegen verstreut auf dem Boden. Rechts und links stehen Farne, Blaubeeren und Birkensämlinge im Scheinwerferlicht der Sonne. Eine Weile später stehe ich vor einem kleinen Zaun mit Tor – ich schreite hindurch und gelange zu einer Unterführung, die direkt unter der Thüringer-Wald-Autobahn A71 verläuft. Kaum hat man den Tunnel verlassen, ist man wieder mittendrin im Wald. Noch einmal genieße ich die frische Brise im Schatten der Bäume, dann leuchten rote Ziegeldächer in der Ferne und kündigen Martinroda an, ein landwirtschaftlich geprägter Ort an der Südspitze eines mittelgebirgsartigen Höhenzuges: den Reinsbergen. Im Ort wartet bereits Reinhard Maskos auf mich, Wanderführer und -experte für die Region. Als der Weg »Von Bach zu Goethe« 2006 zu einem Qualitätswanderweg wurde, begleitete er die Erstzertifizierung. »Eine wunderbare Zeit, die ich nicht missen möchte«, sagt er, bevor wir den weiteren Streckenverlauf gemeinsam antreten. 

Von den Martinrodaer Sandhasen zum Veronikaberg

Während die letzten Häuser hinter uns liegen, amüsieren wir uns über den Spitznamen der Bewohner Martinrodas: Sandhasen. Dazu muss man wissen, dass die Martinrodaer einst reichlich Quarzsand für die Glas- und Porzellanfabrikation abbauten. Der Begriff Sandhasen machte schnell die Runde und erscheint bis heute in volkstümlichen Liedern und Gedichten über den Ort. Und nicht nur das: Alle zwei Jahre im August feiert Martinroda ein großes Sandhasenfest, mit Fackelumzug, Musik und Lagerfeuer. Wir tauschen noch einige Gedanken aus, dann wird’s langsam eng mit der Puste: Ein ordentlicher Aufstieg führt hinauf auf den Veronikaberg. Der Wanderweg bis dorthin ist stellenweise recht schmal und gleicht eher einem Pfad, mit üppigen Sträuchern zu beiden Seiten. Gerade an der steilsten Stelle ist der Boden leicht matschig – wir halten uns hier und da an Baumstämmen fest, um nicht auszurutschen. Bis zum Karolinenblick, einem ersten Aussichtspunkt, wechselt der Untergrund zwischen felsigen Abschnitten und weichem Waldboden. Auf dem Veronikaberg in 552 Metern Höhe angekommen, offenbaren sich die Schätze des Naturschutzgebietes: Immer wieder begegnen uns prächtige Eiben, die inmitten zahlreicher Buchen für schöne Kontraste sorgen. Eiben gehören zu den ältesten Baumarten und sind europaweit gefährdet. Die Exemplare auf dem Veronikaberg sind geschätzte 400 bis 450 Jahre alt. Der Wanderweg führt nach einigen Kilometern an einer Lichtung vorbei, an deren Rand eine massive Holzbank steht. Sie trägt die Inschrift „Südthüringens schönste Aussichten“. Das lasse ich mir nicht zwei Mal sagen, nehme Platz und genieße das vor mir liegende Panorama. Die Verschnaufpause währt nicht lange, da ruft Reinhard zum Aufbruch. Er hat recht – bis zum Ziel in Arnstadt liegen noch genügend Kilometer vor uns. So stapfen wir weiter durch den Wald und gelangen schließlich zur Halskappe, mit über 605 Metern der höchste Punkt des Wanderweges und beliebter Aussichtspunkt ins Wipfratal.

Raubritterburg mit Weitblick

Die Sonne brennt vom Himmel und wir sind dankbar über jeden Kilometer, der unter dem Schattendach der Bäume verläuft. Am Schmerfelder Umsetzer, einer riesigen Lichtung mit Rastplatz und Schutzhütte, bietet sich nicht nur ein schöner Blick auf Schmerfeld, sondern auch auf einen bunt blühenden Kalkmagerrasen. Immer wieder tauchen Blütenköpfe von lilafarbenen Glockenblumen hervor. Tagfalter wie Bläulinge saugen genüsslich Nektar aus Wiesen-Flockenblumen. Sollen wir eine Pause einlegen? Während ich laut vor mich hinüberlege, hat Reinhard bereits einen Plan: »Oben auf der Reinsburg rasten wir, ist nicht mehr weit. Dort gibt‘s eine Sitzgruppe und wir haben eine atemberaubende Sicht!« Gesagt, getan – wir wandern hinauf zur Reinsburg. Auf dem Weg dorthin begegnen uns Ausblicke auf Schritt und Tritt: auf Kleinbreitenbach und weite Felder, in der anderen Richtung taucht am Horizont die Silhouette der Wachsenburg auf, eine der Drei Gleichen. Das letzte steile Stückchen hinauf zur Reinsburg ist durchwoben von Wurzelgeflecht. Ein milder Duft von Kiefernharz liegt in der Luft und es scheint, als wollten die Bäume uns den Anstieg versüßen. Reinhard ist ein paar Schritte schneller und läuft voran, während ich mit Fotoaufnahmen erster sichtbarer Mauerreste der Burgruine beschäftigt bin. Die Reinsburg soll die größte aller Burgen an den Hängen der Gera gewesen sein – bis sie um 1290 zerstört und abgetragen wurde. »Wo bleibst du denn?«, ruft Reinhard, der mir das Panorama beschreiben möchte. »Dort drüben siehst du Schmerfeld, dann Reinsfeld und dort glitzert der Stausee Heyda.« Nach dem Augenschmaus gehen wir über zum Gaumenschmaus. Jeder kramt in seinem Rucksack und holt eine Brotzeit, Obst, Energieriegel und eine Trinkflasche hervor. Während wir uns die Outdoor-Mahlzeit schmecken lassen, frage ich Reinhard, was es für ein Gefühl ist, diesen Wanderweg zu dem gemacht zu haben, was er heute ist: ein Qualitätsweg des Deutschen Wanderverbandes. »Ich erinnere mich gern an die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen aus Ilmenau, den Bürgermeistern der anliegenden Gemeinden, die Verleihung der Erstzertifizierung in Stuttgart zur Tourismusmesse«, sagt Reinhard mit bedachtsamer Stimme und fährt fort: »Zurückliegend betrachtet, ist es ein besonderes Gefühl, etwas Dauerhaftes geschaffen zu haben – einen Weg, den Menschen gern beschreiten, dabei die Aussichten und Natur genießen.« Wir sinnieren weiter und Reinhard berichtet mir, dass er noch immer viel unterwegs sei, um Wandergruppen zu begleiten – insbesondere rings um Arnstadt. Ein Blick auf die Uhr sagt uns, dass wir weitermüssen, so schnappen wir unsere Rucksäcke und verlassen das Gelände der Burgruine.

Schwingungen am Wegesrand

Auf dem Kamm der Reinsberge folgt ein Fernblick auf den nächsten: Nach der Reinsburg ist es der Aussichtspunkt Wipfratal, der eine weite Sicht ins Land bietet. Die Karstbrüche mit ihren imposanten Felsabstürzen überraschen uns immer wieder mit besonderer Flora. Das Gesicht der in Deutschland gefährdeten Silberdistel strahlt uns mehrfach entgegen. Wir wandern auf Muschelkalkboden, der im Sonnenlicht gleißend hell erscheint, bis plötzlich am Himmel vermehrt dunkle Wolken aufziehen, die unser Schritttempo beschleunigen – doch nur für kurze Zeit: An einer Felskante taucht ein überdimensionales Kunstwerk auf. »Schwingungen«, eine Arbeit der Künstlerin Barbara Neuhäuser, lässt uns innehalten. Seit 2010 schmückt das Kunstobjekt den Wanderweg, weiß Reinhard zu berichten, der bei der Einweihung selbst dabei war. Zwei Lärchenbalken schweben parallel zueinander, gehalten von Edelstahlrohren. Unten Bach, oben sein Verehrer Goethe – »Noten als auch Worte beruhen auf Schwingungen«, lese ich später über das Werk. Vom Kunsterlebnis beeindruckt, jedoch die Zeit im Nacken, wandern wir weiter in Richtung Arnstadt. Eine Familie mit zwei kleinen Kindern kommt uns entgegen. Im Gespräch stellt sich heraus, dass die vier aus Pfaffenhofen angereist sind und bereits das zweite Mal Thüringen besuchen. Während des ersten Urlaubes stand der Goethewanderweg auf dem Programm, die Fortsetzung ist dieses Mal der Wanderweg »Von Bach zu Goethe«. Die Familie zieht von dannen, und wir laufen forschen Schrittes hinab zur Gerhard-Pfeiffer-Hütte, einer beliebten Schutzhütte. Ihren Namen bekam sie zu Ehren des Heimatforschers Gerhard Pfeiffer, der zugleich Mitbegründer des Themenwanderweges gewesen ist. Danach durchqueren wir einen Buchenmischwald, der zum Naturschutzgebiet Große Luppe gehört. Im Schutzgebiet finden gefährdete Brutvögel wie Sperber, Wespenbussard, Grauspecht und Turteltaube ein geeignetes Refugium. Wir wandern weiter hinab, vorbei an einer Kleingartenanlage und durch die Kirschallee, bis wir das Ufer der Gera erreicht haben. Hier plätschert nicht nur Wasser neben uns, sondern plötzlich auch über uns: Es kracht, donnert und schüttet von oben nur so herab. Mit entsprechend eiligen Schritten geht’s zum Wollmarkt, von hier über den Schlossgarten mit der imposanten Wasserschlossruine Neideck und weiter in die Zimmerstraße, mit schönem Blick auf die Bachkirche. Die letzten Meter zum Bachdenkmal auf dem Arnstädter Marktplatz werden durch den kräftigen Regenguss mehr errannt als erwandert. Hier sitzt der junge Bach lässig auf einem Meilenstein – er kann es sich erlauben, schließlich weiß er, wie das Wandern geht: 1705 marschierte er von Arnstadt nach Lübeck, gut 400 Kilometer. Da erscheinen die 25 Kilometer von heute geradezu wie ein Klacks.

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